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Die Mätresse des Grafen Leseprobe

 

Jakob, der Bauernknabe

 

Es war bitterkalt an diesem späten Nachmittag, als er durch den Wald streifte, um nach Feuerholz zu suchen.

Der dünne, verschlissene Wollmantel half da nicht viel gegen den kalten Wind, der immer wieder durch die lichten Bäume fegte.

Plötzlich flatterten Vögel vor ihm auf. Zu weit entfernt, als das sie durch ihn hätten aufgescheucht worden sein können.

Er erstarrte und lauschte. 

Das Pferdegetrappel klang im Schnee dumpfer als er es kannte. Doch es war unverkennbar.

Der Junge konnte sogar das atemlose Schnauben der Pferde hören.

So schnell und vorsichtig, wie er konnte, schlich er den Reitern entgegen, hielt sich tief ins Gebüsch geduckt.

Dann sah er sie!

Eine wilde Horde von bestimmt zwanzig bewaffneten Mann!

Sie trugen Schwerter und Bögen bei sich. Dolche hingen an ihren Ledergürteln, die ihre dicken Mäntel zusammenhielten.

Pelzmützen schützten ihre Köpfe vor dem kalten Gegenwind.

Sie gaben kaum Laute von sich, ritten nur in vollem, bedrohlichen Galopp in Richtung des Dorfes.

Der Junge starrte ihnen nach, als sie an ihm vorbeistoben. 

Instinktiv wusste er, dass diese Männer nur aus einem Grund gekommen waren...

Sie waren auf dem Weg zu töten, zu rauben und zu brandschatzen!

Sie waren eine Horde von Höllenreitern, die den Tod an ihren Gürteln trugen und nichts als Blut und Leid zurücklassen würden!

Als er sich abwandte und sich schräg von ihnen durch den verschneiten Wald schlug, um vielleicht noch vor ihnen ins Dorf zu gelangen, wusste er längst, dass sein Leben in wenigen Stunden nie mehr dasselbe sein würde und viele der Seinen bereits ihr Leben ausgehaucht haben würden...

Sein Herz raste wie verrückt, seine Wangen brannten, doch nicht mehr vor Kälte, sondern vor Anspannung.

Wenn er doch nur rechtzeitig käme, wenn er die Männer im Dorf doch nur warnen könnte!

Vielleicht...

 

Die Schreie, sie kamen von Männern, Frauen, ja selbst von Kindern..., raubten ihm mit einem Schlag alle Hoffnung.

Er riss voller Schrecken die Augen auf, schon brannten Tränen unter seinen Lidern.

Dennoch wollten seine Beine nicht aufhören zu rennen. Trugen ihn durch den meterhohen, weißen Schnell immer näher an den Schicksalsort. An dem nun blutiges Grauen Einzug gehalten hatte.

Die Schreie wurden lauter, dazwischen mischte sich kaltes Lachen und das nervöse Wiehern der Pferde.

"Nein, nein, nein!", schrie sein kindlicher Verstand.

Wollte die grausame Realität nicht akzeptieren, solange seine Augen sie nicht geschaut hatten.

 

Er stolperte zwischen den letzten Bäumen am Waldrand hervor, stand plötzlich wie erstarrt und sah mit vor Schrecken aufgerissenen Augen auf sein Dorf hinab...

Die wilde Horde der Raubritter jagte zwischen den Hütten hindurch. Der Schnee leuchtete hellrot vom Blut seiner Leute...

Überall lagen die Leichen, derer die er seit seiner Geburt gekannt und geliebt hatte. Das waren die Glücklichen.

Die anderen krochen mit klaffenden Wunden an Bauch oder Rücken durch die Lachen ihres eigenen, dampfenden Blutes.

Ihre Gesichter nur noch verzerrte Masken von Höllenqualen und Schmerz.

Manche schrien, andere stöhnten dem Tode nah.

Die Reiter ließen ihre Pferde über die am Boden liegenden trampeln. 

Dem alten Bäcker zerschmetterte der Huf eines von ihnen den Schädel, sodass von seinen Zügen nichts mehr zu erkennen war...

Der Junge schlug reflexartig die Hände vor die bebenden Lippen. Unterdrückte das Würgen, das sein sich verkrampfender Magen auslöste.

Alles war wie in Nebel gehüllt. Er sah alles, er hörte alles und dennoch schien es, als würde es in einer anderen Welt geschehen.

Bis er seine Schwester sah, die schreiend aus ihrer Hütte floh, aus der ihr einer der Reiter mit grölendem Lachen folgte...

Nur in ihrem Kleid, mit gelöstem Haar, das als rotblonder Schleier um sie herwehte, rannte sie über den längst glattgetrampelten, schmutzigen Schnee und blieb wie erstarrt stehen, als ihr Blick auf den alten Bäcker fiel, der ihnen immer wie ein Großvater gewesen war...

Sie schrie nicht mehr, starrte nur in Richtung des Toten, um dessen enstellte Züge sich einen riesige Blutlache ausgebreitet hatte.

 

Er musste etwas tun! Irgendetwas! Alles in ihm kämpfte, bäumte sich auf. Sein Verstand wirbelte durcheinander. Ein tosender Sturm, der ihn fortriss.

Wie in Zeitlupe sah er, wie der riesige Hüne seine Schwester grob an den Haaren packte, die langen Flechten um seine grobe Faust schlang und sie rücklings zu sich heranriss. In ihren Zügen zeichneten sich Schmerz und nackte Panik ab. Ihre Wangen glühten rot, ihr Mund war weit aufgerissen. Blut rann aus ihrem Mundwinkel, das ihm wie ein Zeugnis ihrer Qualen entgegen flammte.

Jetzt löste sich ein neuer Schrei von ihren Lippen. Vermischte sich mit den anderen, überall um sie her.

Der hünenhafte Kerl warf sie sich über die Schulter seines Stiernackens und stapfte mit ihr fort hinter die Hütten, während sie weiter schrie und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Ihre Schreie offenbarten die Todesangst und Verzweiflung, die sie empfand.

 

Der Junge riss sich aus seiner Starre. Er hatte unglaubliche Angst, aber die Liebe zu seiner Schwester war größer als alles andere!

Er wusste, dass er eigentlich keine Chance hatte ihr zu helfen. Doch er war ein Mann, ihr Bruder! Er musste es versuchen, egal ob es ihm den Tod brachte oder nicht!

Er wusste nur, wenn er nichts tat, würde er nie wieder Ruhe finden...

Seine schmale, noch fast kindliche Gestalt löste sich aus dem Schatten der Bäume. Er begann zu rennen. Kopflos. Einfach auf das Dorf zu.

Als er plötzlich schmerzhaft grob zu Boden gerissen wurde!

Er fiel mit dem Gesicht voran in das weiße, eiskalte Glitzern hinein. Der Schnee dämpfte den Schrei der sich vor Schock von seinen Lippen gelöst hatte.

Dann fiel ein dunkler, riesiger Schatten über ihn und ein schweres Gewicht legte sich auf ihn, presste ihn noch tiefer in den Meter hohen Schnee, sodass er Mühe hatte noch Atem zu holen...

Sein Herz raste, vor Angst, vor Verzweiflung, vor Wut.

Er hatte versagt! Er würde jetzt und hier sterben ohne auch nur irgendetwas getan zu haben! 

Bittere Tränen schossen ihm in die graublauen Augen. Seine Wangen brannten vor Kälte. Seine Kleidung begann sich mit Feuchtigkeit vollzusaugen. Denn der Schnee unter ihm begann allmählich zu schmelzen.

Doch all das spürte er nicht. Er wartete auf den tödlichen Hieb!

 

"Bist du verrückt geworden, Bengel?", raunte ihm plötzlich eine dunkle, grollende Stimme ins Ohr.

Er erstarrte. Er kannte diese Stimme! Seine Gedanken rasten. 

"Du kannst ihnen nicht mehr helfen. Es ist zu spät. Du würdest einen sinnlosen Tod sterben, der niemandem etwas nützt!", knurrte die Stimme.

"Jorgen!", flüsterte der Junge atemlos und versuchte sich zu dem Mann umzuwenden.

Der rollte sich etwas zur Seite. Endlich trafen sich ihre Blicke.

Der kräftige, große Mann, einer der Jäger des Dorfes, nickte ihm zu. Eiskristalle glitzerten in seinem vollen, rötlichen Bart.

Seine schulterlangen rotblonden Locken klebten klamm an seinem Kopf.

Er hielt Pfeil und Bogen über der Schulter fest.

"Jakob, du musst jetzt stark sein. Vielleicht so stark wie nie in deinem jungen Leben!", meinte der Ältere mit ernster, strenger Stimme. 

Jakob nickte, noch immer glitzerten Tränen in seinem Blick. Doch er versuchte sich zusammenzunehmen. Er musste jetzt ein Mann werden. Jetzt sofort. Oder er würde sterben.

"Wir müssen uns bis zum Baron Berlinger durchschlagen. Er wird wissen was zu tun ist...", raunte ihm Jorgen der Jäger zu.

Jakob nickte. Folgte dem Mann, der ihm das Leben gerettet hatte. Gemeinsam robbten sie durch den Schnee zurück zum nahen Waldrand. 

Endlich konnten sie sich aus dem kalten Weiß erheben. Jakob zitterte. Seine schlichte, einfache Kleidung war klamm und hielt der Kälte kaum noch stand.

Gemeinsam warfen die beiden letzten Männer des Dorfes noch einmal einen Blick zu dem Ort, der ihr Heim gewesen war.

Jenen Ort an dem all die Menschen gelebt hatten, die sie geliebt hatten. Dieser Ort war jetzt zu einem blutigen Schlachthof geworden. Die Schreie waren verstummt. Doch die Stille war noch viel schlimmer...

"Wir müssen sofort aufbrechen. Ich kenne den Weg zum Hof des Barons. Aber wir werden uns im Dickicht des Waldes aufhalten...", unterbrach Jorgens Stimme die gespenstische Stille. 

Jakob nickte stumm. Es gab nichts, das er hätte sagen können...

***

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